Zum Verzweifeln: Obdachlose bleiben Weihnachten auf der Straße

Während wir durch die Innenstadt hetzen, um Weihnachtsgeschenke zu besorgen, sitzen sie am Rand und schauen zu: Für die 2000 Obdachlosen in der Stadt ist die Adventszeit wenig besinnlich. Das Winternotprogramm ist ausgelastet, die wenigen Tagesaufenthaltsstätten überfüllt. Was kann getan werden, um die Lage der Obdachlosen zu verbessern?

„Können Sie mir bitte Geld geben für etwas zu essen? Ich habe solch einen Hunger!“ Mit diesen Worten sprach mich erst kürzlich ein alter Mann auf offener Straße an. Einen Moment später fing er an zu weinen. Eine Begegnung, die bewegt und zum Nachdenken anregt: Denn die Situation für Obdachlose in Hamburg ist zum Verzweifeln – seit Jahren schon. Und eine Besserung ihrer Lage scheint derzeit nicht in Sicht. Wohin an einem kalten Wintertag, wenn man müde und hungrig ist, schlecht laufen kann und noch dazu Mühe hat, sich zu orientieren?
Rund 2000 Obdachlose leben derzeit auf Hamburgs Straßen. Im Rahmen des Winternotprogramms stehen ihnen 850 Betten zusätzlich zu den rund 300 Notübernachtungsstellen zur Verfügung. Gerade werden die Notunterkünfte noch einmal um 100 Betten aufgestockt. Seit dem 1. November läuft das städtische Nothilfeprogramm schon, Ende des Monats klagten die Unterkünfte bereits über eine Auslastung von über 90 Prozent – wohlgemerkt bei noch milden Temperaturen. Die Straßenzeitung Hinz&Kunzt forderte in den vergangenen Jahren völlig zurecht für jeden Obdachlosen die Option auf einen sicheren Schlafplatz in der Stadt. Ein warmes Bett wird besonders nach dem Wintereinbruch für die Menschen ohne Obdach zum puren Luxus.

Notunterkünfte bieten am Tag keinen Schutz

Die Schlafplätze im Winternotprogramm werden täglich neu verlost: Obdachlose müssen also jeden Tag damit rechnen, die Nacht in der klirrenden Kälte zu verbringen. Morgens müssen sie die Winternotquartiere wieder verlassen, erst am Abend können sie wiederkommen. Dazwischen liegen oft lange kalte, nasse und dunkle Tage. Zwar gibt es noch die Tagesaufenthaltsstätten, die jedoch fast alle nur unter der Woche und auch dann nur stundenweise geöffnet sind (siehe Kleine Anfrage der LINKEN, Drucksache 21/2034). An den Wochenenden ist eine der wenigen Möglichkeiten um sich aufzuwärmen die Bahnhofsmission am Hamburger Hauptbahnhof. Außerdem ist das Hilfesystem für Menschen, die mobil eingeschränkt sind, sich keine Fahrkarte leisten können und nicht über Stadtpläne verfügen, eine echte Hürde. Die Öffnungszeiten sind uneinheitlich, oft nicht durchgehend und um Anlaufstellen zu finden muss man sich schon ein wenig in Hamburg auskennen und vor allem mobil sein. Da ist doch fraglich, warum die Übernachtungsstellen nicht auch am Tage Schutz bieten können?

Notunterkünfte sind laut Senat ein „Erfrierungsschutz“

Im Wortprotokoll des Sozialausschusses vom 3. November dieses Jahres sind die wahren Gründe, warum die Winterübernachtungsstätten nicht einfach öffnen können, nachzulesen: „..es sei …hilfreich, wenn die Übernachtungsstätte tagsüber geschlossen sei, damit sich die Menschen zu weiteren Hilfsangeboten auf den Weg machen müssten“, heißt es dort. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter betonten nochmals, bei dem Winternotprogramm würde es sich um einen Erfrierungsschutz mit morgen- und abendlicher Verpflegung durch Ehrenamtliche handeln.

Kaum sanitäre Anlagen für Obdachlose im öffentlichen Raum

Besonders knapp ausgestattet sind die Möglichkeiten für obdachlose Menschen, außerhalb des Winternotprogramms ihre Wäsche zu waschen oder zu duschen (skA21/1862). So gibt es für die 2000 Obdachlosen nur insgesamt 22 Duschen. Rechnet man hinzu, dass es täglich jeweils nur eine Öffnungszeit von wenigen Stunden gibt, so kann jeder Obdachlose im Schnitt vielleicht einmal im Monat duschen. Die Einrichtungen berichten von langen Wartezeiten und in der Schlange stehen für eine Dusche oder frische Wäsche.
Denn auch Waschmaschinen und Trockner sind knapp. Insgesamt 16 Waschmaschinen und Trockner stehen den Obdachlosen verteilt auf die Aufenthaltsstellen zur Verfügung.
Die Situation der Obdachlosigkeit ist für die Menschen sehr belastend: Sie macht körperlich und psychisch krank. So berichten die Anlaufstellen von einer Zunahme von psychisch kranken Menschen unter den Menschen, die auf der Straße leben müssen.

Vermittlung von Wohnraum muss Priorität haben!

Das zentrale Problem: Es bedarf dringend einer Vermittlung von Wohnraum. Doch seit der Gründung der Fachstellen für Wohnungsnotfälle im Jahr 2005 sind die Vermittlung von Wohnungslosen in Wohnraum so niedrig wie noch nie. Wurden  Im Jahr 2009 noch  1749 Vermittlungen in Wohnraum  erreicht, so waren es im Jahr 2014 nur noch 1207 (siehe Drucksache 21/2035). Zudem sind in den letzten Jahren die Vermietungen an Wohnungslose durch Wohnungsunternehmen, die nicht am sogenannten Kooperationsvertrag beteiligt sind, stark eingebrochen.

Die Diakonie schlägt Alarm, denn die Zahl der Wohnungslosen steigt rasant (siehe auch Newsletter Wohnungslosenhilfe Nr. 12/2015). Hinzu kommt, dass zusätzlich zu den Obdachlosen noch insgesamt rund 8000 wohnberechtigte Zuwanderer  und Wohnungslose in den öffentlichen Unterkünften auf eine Wohnung warten. Aufgrund der wachsenden Flüchtlingsbewegung, aber auch der zunehmenden Verarmung und explodierenden Mieten steigt auch diese Zahl an. Die Versorgung aller HamburgerInnen mit Wohnraum muss die prioritäre Aufgabe der Stadt sein. Das Werben um Akzeptanz und die Information der BürgerInnen wird eine genauso wichtige, unerlässliche Aufgabe wie die Schaffung von Wohnraum selbst. Aber die Zukunftsvision mit Wohnungen für alle scheint noch weit entfernt.

Daher muss alles dafür getan werden, die gegenwärtige Situation schnellstens zu verbessern.  Ganz pragmatisch gehört dazu das geforderte Bett für jeden obdachlosen Menschen und  die Möglichkeit eines Tagesaufenthalts auch am Wochenende und ebenso an den Feiertagen.
Denn da wird es ganz trostlos: Nur eine der angegebenen Tagesstätten hat Weihnachten und Silvester geöffnet und auch das nur am Vormittag.

Text: Antje Schellner

Foto: The Blackbird (Jay Black)/Wikimedia Commons