„Europa braucht Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik“
Im Rahmen der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Informationsreise „Grenzregime und Migration“ nach Tunesien und Süditalien hat die flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, Christiane Schneider, zusammen mit anderen LINKEN-Abgeordneten aus Bundestag und Landtagen u. a. Gespräche mit dem UNHCR und der EU-Vertretung in Tunis sowie mit NGOs und Müttern „verschwundener Migranten“ geführt und auf Sizilien ein Abschiebegefängnis und ein Flüchtlingslager besucht.
„Mein wichtigstes Fazit lautet: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik“, fast Christiane Schneider zusammen. „Die Politik, vermeintlich stabile Länder wie Tunesien zu Grenzwächtern der EU aufzurüsten, führt nur dazu, die vor Krieg und größter Not Flüchtenden auf die gefährlichsten Routen abzudrängen. Das bestätigten die Gespräche mit NGOs in Tunis und Palermo. Diese Politik fördert auf diesen Routen kriminelle Strukturen zu Lasten der Flüchtenden, sie fördert die Herausbildung sklaverei-ähnlicher Verhältnisse in den betroffenen Ländern und nimmt Leid und Tod abertausender Menschen billigend in Kauf. Geflüchteten aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern – in diesem Fall den nordafrikanischen Ländern – alle Rechte zu verweigern und sie bis zur Abschiebung zu inhaftieren, wie wir uns im Abschiebegefängnis von Trapani vergewissern konnten, missachtet die Menschenrechte. Diese Politik der Abschreckung ist grauenhaft und erfüllt nicht einmal ihren Zweck. Denn sie ändert nichts an den Fluchtursachen und verhindert nicht, dass unzählige Menschen immer und immer wieder Krieg, Gewalt und Not zu entkommen suchen und dabei den Tod finden. Jede Woche muss allein die Stadt Palermo durchschnittlich 50 bis 60 im Mittelmeer ertrunkene Geflüchtete beerdigen.“
Als sehr anregend empfand Schneider die Gespräche mit dem Bürgermeister von Palermo, auf den die „Charta von Palermo – Internationale Freizügigkeit von Menschen“ zurückgeht: „Die ,Charta von Palermo‘ kann bei der Umsteuerung in der Flüchtlingspolitik eine wichtige Orientierung werden. Ihr Leitgedanke – das Menschenrecht auf Freizügigkeit – wird nicht in kurzer Zeit umzusetzen sein. Aber wir erfuhren in Palermo, wie dieser menschenrechtsorientierte Ansatz den Umgang mit den Geflüchteten vor Ort sehr konkret und positiv verändert.“
In der „Charta von Palermo“ heißt es:
„Für die mit der mittlerweile alltäglichen Migration verbundenen Probleme müssen solche Lösungen gefunden werden, die Freizügigkeit als Recht voraussetzen. Dafür ist es notwendig, den Ansatz zu ändern, in dem Sinn, dass das ,Problem Migration’ dem Recht auf Freizügigkeit Platz macht. Kein Mensch hat den Ort, an dem er geboren wird, ausgesucht oder sucht diesen aus; jeder Mensch hat den Anspruch darauf, den Ort, an dem er leben, besser leben und nicht sterben möchte, frei zu wählen. (…) Es ist notwendig zu verhindern, dass die Migrationsnotstände ,chronisch’ werden, da sie alle auf eine strukturelle Gegebenheit zurückzuführen sind: die Unmöglichkeit, die Verlagerung von abermillionen Menschen zu blockieren. Die Lösung dieses Notstands – nicht nur im Mittelmeerraum, sondern in der ganzen Welt – muss in ihrem Wesenskern davon ausgehen, dass sie als zentrales Element den Migranten als Person anerkennt: ,Ich bin eine Person.’“