G20 aufklären?! „Senat und Polizei wollen
so wenig wie möglich preisgeben“
Christiane Schneider sitzt für DIE LINKE im G20-Sonderausschuss. Dort will sie offene Fragen zum Gipfelgeschehen aufklären – doch das ist gar nicht so leicht: Teile der G20-Akten wurden geschwärzt, die verantwortlichen Behörden weichen wichtigen Fragen aus. Im Interview fasst Schneider ihre ersten Erfahrungen zusammen.
Die erste Arbeitssitzung des Sonderausschusses liegt hinter Dir, seit zwei Wochen kannst Du die G20-Akten studieren – nach der ersten Akteneinsicht hast Du ein Bild getwittert, auf dem ein Papier mit geschwärzten Passagen zu sehen ist …
Schneider: Ja, denn ich stieß auf den „Rahmenbefehl der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Michel“, der in wesentlichen Teilen geschwärzt war. Daraufhin habe ich das besagte Bild getwittert, welches übrigens gezeichnet war, denn die Akten dürfen nicht abfotografiert werden. Ich habe damit einen Stein ins Wasser geworfen, der große Wellen schlug: Die Schwärzung war ein Affront gegen den Sonderausschuss, schließlich gibt es kaum einen Journalisten, der den Rahmenbefehl zu diesem Zeitpunkt nicht schon lange vorliegen hatte. Der Inhalt der geschwärzten Passagen lässt sich sogar bei Wikipedia nachlesen! Dankenswerterweise hat die „Welt“ das Dokument dann prompt veröffentlicht und damit die Streichwut der Polizei blamiert.
Vom Festival der Demokratie zum Festival der Aufklärung: Heute die ersten #G20-Akten für Sonderausschuss studiert. #NoG20 pic.twitter.com/7sQnH7mE6B
— Christiane Schneider (@ChristianeSchn2) September 16, 2017
Hat der öffentliche Druck nun eine Änderung der Schwärzungspraxis bewirkt?
Schneider: Ich bleibe skeptisch. Nach dem Protest des Ausschusses hat die Innenbehörde zwar Schwärzungen zurückgenommen. Doch ich fürchte, das reicht bei weitem nicht. Sehr viele Dokumente, darunter auch der Rahmenbefehl, wurden lediglich als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) eingestuft. Solche VS-NfD-Papiere kann jeder Polizeibedienstete im Rahmen seiner Tätigkeit frei einsehen. Warum dann nicht auch Abgeordnete, die das Gipfelgeschehen aufklären sollen? Warum werden in solchen Akten überhaupt Schwärzungen vorgenommen oder Seiten entfernt? Soweit mir bekannt ist, wurden in den Untersuchungsausschüssen des Bundestages, etwa im NSU-Untersuchungsausschuss, die als VS-NfD eingestuften Akten in die Fraktionen geliefert. Wir Abgeordneten dürfen die G20-Dokumente aber nur unter Aufsicht im Aktenraum lesen – und dann liegen diese auch noch vielfach nur in stark gekürzter Fassung vor.
Was sagt das über den Aufklärungswillen der Behörden aus..?
Schneider: Nach diesen ersten Erfahrungen habe ich den Eindruck, dass der Senat und die Polizei so wenig wie irgend möglich preisgeben wollen. Auch die Antworten, die Staatsrat Schmidt, Innensenator Grote, Polizeipräsident Meyer und Gesamteinsatzleiter Dudde in der Sonderausschusssitzung am 21. September auf die Fragen der Opposition gaben, waren zwar teils weitschweifig, inhaltlich aber dürftig. Sicher ist: Bei der Aufklärung stoßen wir auf große Hindernisse. Unsere Fraktion hat den Sommer für viele Kleine Anfragen genutzt und auch dabei die Erfahrung gemacht, dass der Senat, respektive die Innenbehörde, kaum eine unserer Fragen beantwortet – manche gar nicht, andere höchstwahrscheinlich nicht wahrheitsgetreu. Bereitschaft zur Aufklärung sieht anders aus.
Trotz dieser Hindernisse: Wie will DIE LINKE die Arbeit des G20-Sonderausschusses beeinflussen?
Schneider: Der Sonderausschuss trägt den Titel „Gewalttätige Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg“. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir keiner einzigen Frage ausweichen und uns jeder Diskussion stellen. Es ist aber auch klar, dass wir unseren Schwerpunkt auf die Aufklärung des staatlichen und des polizeilichen Handelns legen. Gerade weil wir die einzige Bürgerschaftsfraktion sind, die diese Aufklärung überhaupt aktiv betreibt! Ich denke, dass wir allen Blockadeversuchen zum Trotz damit auch etwas erreichen werden. Wie viel, das hängt davon ab, wie groß das öffentliche Interesse in den nächsten Monaten bleibt, und nicht zuletzt auch davon, wie weit die außerparlamentarische Aufklärung kommt. In jedem Fall wollen wir die Arbeit des Sonderausschusses öffentlich intensiv begleiten. Deshalb will ich in Kürze einen Blog starten, in dem ich die Aufklärungsergebnisse verarbeiten und die Arbeit des Ausschusses kommentieren werde.
UPDATE: Die Schwärzung der G20-Akten weitet sich immer mehr zu einem Skandal aus. Auch in einer zweiten Lieferung von Aktenordnern wurden etliche Stellen, teils seitenweise, geschwärzt. Die Polizei verweist auf den angeblich hohen Zeitdruck bei der Bearbeitung der Akten – will nun aber nochmal im Einzelfall prüfen, welche Stellen denn nun wirklich geschwärzt werden können oder nicht.
Foto: Karin Desmarowitz